9 / 2001: Auszüge aus "Glosse des Monats" Wilhelm Wehland in top agrar

 

 

    Eine Lanze für Renate Künast !

    Wenn  es nach den Vorstellungen von Frau Künast ginge, dann könnte die Welt in den Dörfern im Jahre 2010 wieder in Ordnung sein. Man müsste es nur wollen ! ...

    Dann würden nicht nur ein paar, sondern alle Bauern Brot wieder selber backen, Butter, Joghurt und Käse auf dem Hof herstellen und Gemüse im Garten für das ganze Dorf und die benachbarten Städter anbauen....

    Wie entsetzlich ist es hingegen heute: Schlachthöfe müssen heute mindestens 30 tausend Schweine pro Woche schlachten, sonst droht die Pleite.

    Bei den Molkereien ist es nicht anders. Wie schön war das damals noch, als jedes größere Dorf seine eigene Molkerei hatte. Die Spielführer unter den EU-Molkereien bringen es heute auf fünf bis acht Milliarden Mark Umsatz. Und es geht weiter aufwärts.

    Und bei den Warengenossenschaften ist es kaum anders. Schon sagen Kenner voraus, dass es in zehn Jahren nur noch zwei große Hauptgenossenschaften in Deutschland geben wird.

    Wer ( ... ) ist der Motor  dieser unerfreulichen Entwicklung?

    Die Anwort ist einfach, nur die Verbraucherschutzministerin scheint sie nicht zu kennen: Es sind die 82 Millionen Verbraucher in Deutschland !

    Sie wollen Nahrungsmittel bester Qualität, frisch, billig und möglichst kochfertig einkaufen. Deshalb haben sie bereits seit Jahrzehnten Tante Emma nach Hause geschickt und die großen Supermarktketten stark gemacht.

    Und die verlangen beispielsweise große Mengen Fleisch gleichen Zuschnitts, gleicher Qualität mit Garantieversprechen, möglichst brat- und kochfertig verpackt zu einem genau vorgegebenen Zeitpunkt an genau vorgegebenen Orten.

    Denn so sind nunmal unsere Verbraucher: Genussorientiert, kostenbewusst und faul; sie wollen heute einfach nicht mehr lange in der Küche stehen.

    Das Diktat der Supermärkte aber ( 74 % des Fleischumsatzes ) können heute nur wenige, leistungsfähige Schlachthöfe und Molkereien befriedigen. Sie müssen, wie die Bauern, wachsen oder weichen.

    Wer das generell ändern will, und genau das möchte Frau Künast, muss die Bauern vor den Verbrauchern schützen und nicht umgekehrt.

    Frau Künast muss nicht fünf, sondern 82 Millionen Frauen und Männer überzeugen, wie viel besser es doch eigentlich wäre, Nahrungsmittel so weit wie möglich wieder auf dem Bauernhof direkt zu kaufen, Gemüse wieder selbst zu putzen, anstatt es tischfertig aus der Tiefkühltruhe im Supermarkt zu holen.

    Zu dem notwendigen Umerziehungsprozess gehört es auch, Frauen und Männern beizubringen, dass sie demnächst nicht nur 13 % ihres Budgets für Nahrungsmittel ausgeben sollten, sondern mindestens 20 %.

    Und natürlich gilt es, möglichst alle Hausfrauen und -männer zu überzeugen, dass es doch eigentlich kreativer ist, täglich drei bis vier Stunden in der Küche zu verbringen, als irgendwelchen langweiligen Hobbys nachzugehen. Wenn ihr das gelänge, hätten die Supermärkte nichts mehr zu lachen, dafür die Bauern umso mehr....

    top agrar   9/2001   Seite 3   Wilhelm Wehland  "Eine Lanze für Renate Künast"